top of page

Schwarze Girls und weiße Riesen

Schwarze Girls und weiße Riesen

Zeichnungen und Malereien von Jacqueline Chanton

 

Jedes Dokument der Zivilisation

ist zugleich auch ein

Dokument der Barbarei

Walter Benjamin

 

Liang Li, der anders aussieht als wir, isst etwas anderes und das auch auf eine völlig andere

Art, als wir das tun. Wo er das tut ist auf dem Bild nicht klar ersichtlich - nichts deutet auf Tokyo hin, nichts auf Düsseldorf, obwohl beides möglich wäre. In den westlichen urbanen Zentren sind Liang Li’s Essgewohnheiten nicht nur durchgesetzt, sondern haben sogar einen absolut coolen Chic. Jacqueline Chanton, Schweizerin in Wien lebend, zeigt in ihren Zeichnungen und Gemälden Ausprägungen eines neuen Exotismus. Gemeint ist dabei keineswegs der nach dem Paradies suchende Exotismus, der von einer biederen Begeisterung an den Elementen fremder Kulturen ausgeht, die als fern und verschieden erfahren werden – egal ob räumlich oder zeitlich fern liegend und den „Hawaii – Toast“ als kulinarisches Souvenir erfanden. Vielmehr geht es Chanton um den Vorgang der Assimilation. Wie kann oder muss man sich in der fremden Kultur einrichten, um existieren zu können, ohne ins soziale Elend abrutschen zu müssen? Was bleibt von der eigenen kulturellen Identität und was passiert mit den Resten davon? Diese Fragen scheint die Künstlerin zu stellen. Sehr leidenschaftslos werden die ProtagonistInnen dargestellt, wie sie sich mit dem westlichen Zeitgeist mit seinen Moden und subkulturellen Ausformungen arrangieren. Die aus den Life- Style Magazinen abgezeichneten und abgemalten Frauen und Männer bedienen die Klischeevorstellungen, die schon seit dem 19.Jahrhundert, in immer wieder abgewandelter Form bestehen. Sie sind schön, animalisch, sportlich, strahlen sexuelle Potenz aus und werden so zum Ziel der westlich - abendländischen Begierde – schwarze Girls und weiße Riesen, oder vice versa. In Zeiten einer „Political Correctness“ werben Schwarze nicht mehr für Kakao, Zigaretten, Gewürze oder Schokolade. Eine zeitgeistige Verschiebung wurde vollzogen und schwarze Basketballer finden sich in Turnschuhwerbungen, tibetanische Mönche werben für grünen Tee oder asiatische Damen in folkloristischen Kleidern preisen die Vorzüge diverser Artikel aus der Computerbranche an.

Wesentlich subtiler und vielfältiger als in der Werbung existieren Formen eines neuen Exotismus im erweiterten Bereich der Pop-Kultur. Durch die nahezu unbegrenzten Reisemöglichkeiten sind die fernen Länder und ihre Kulturen zu fast banalen Reizen verkommen. Spannender ist es offenbar, sich mit den Vorstellungen zu befassen, die vom Exotischen existieren. Collageartig werden unzusammenhängenden Idiome kombiniert. Der weiße tätowierte Teenager mit Dreadlocks und Piercings wird ähnlich wie die blondierte schwarze Frau beispielhaft. Das Aufeinanderprallen unterschiedlicher, gefühlsbewegter Phantasien wirkt provokant, erfrischend und verfremdend. Eine Befreiung vom sentimentalen Bann der exotischen Idylle und der Versuch einer Freisetzung neuer Phantasien scheinen damit einher zu gehen. Man ist an Edward W. Said in diesem Zusammenhang erinnert: “Keine kulturelle Identität ist einfach gegeben; jede ist auf der Basis von Erfahrung, Gedächtnis, Tradition (die auch eine erdachte und erfundene sein kann) sowie einer Vielzahl kultureller, politischer und sozialer Praktiken und Äußerungen kollektiv konstruiert.“ Diese positiv klingende Aussage soll die Sicht auf ein massives xenophobisches Element innerhalb unserer Gesellschaft, nicht verstellen. Sollte man den Eindruck gewinnen, Jacqueline Chanton ist sich der Ungerechtigkeiten und Tragödien in diesem Zusammenhang nicht, oder zu wenig bewußt, weil sie sie nicht drastisch und offensichtlich thematisiert und darstellt, unterschätzt man den kritischen Gehalt dieser Arbeit.

 

Diese, hier als neue Formen des Exotismus beschriebenen Phänomene, münden in eine wesentlich weiter greifende Entwicklung, die sich am Verhältnis zwischen dem Status des Staates und den multinationalen Entwicklungen innerhalb der Wirtschaft abzeichnet. Seit der Zunahme der politischen und wirtschaftlichen Macht der multinationalen Konzerne befinden sich die Staatengeblide mit ihren demokratischen Prinzipien auf dem Niedergang. Der Staat kann als eine territoriale Einheit mit Verpflichtungen gegenüber seinen BürgerInnen gesehen werden. Der Konzern hingegen ist weder an geografische Grenzen noch an demokratische Verantwortung gebunden. Im Gegenteil, diesem geht es um den Abbau nationaler Grenzen und lokaler Differenzen und um die Schaffung von globalisierten, homogenisierten Konsumenten mit einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Bedürfnissen.

Die aus den Life-Style Magazinen entsprungenen ProtagonistInnen auf den Zeichnungen und Gemälden von Jacqueline Chanton, scheinen auf diese Entwicklung vorbereitet zu sein oder sind längst Teil davon.

 

Günther Holler-Schuster

JACQUELINE

CHANTON

KÜNSTLERIN/KURATORIN

bottom of page